Donnerstag, 22. November 2007

Endlich nach Lhasa

Lulu ist pünktlich neun Uhr dreißig im Hostel. Sie ist Studentin in dem Institut, wo Qiu Fang arbeitet, mit der Martin in einem Monat ein Forschungsprojekt über Lernen von hierarchischen Strukturen im Vergleich zwischen chinesisch- und englischsprachigen Versuchspersonen unternehmen wird, und bereit uns zu helfen. Damit beeilt sie sich auch auf der Stelle anzufangen und lässt uns kaum Zeit zum durchatmen, von sich selbst ganz zu schweigen. Ich frage mich, ob sie vielleicht ein wenig überdreht ist, ob man das hier so macht oder ob das ihre Auffassung ist, wie man so etwas bei uns angeht. Der Versuch unsere Daten zum "Tibetean Tourist Office" zu faxen scheitert am defekten Faxgerät im Hostel. Also fahren wir direkt in das Beijinger Büro. Lulu besteht die ganze Zeit darauf alle anfallenden Kosten wie Taxifahrten zu bezahlen und wir sind etwas ratlos, weil wir es nicht schaffen, uns gegen sie durchzusetzen. Im Büro geht Dank Lulus Hilfe alles sehr reibungslos von statten und wir bekommen die Zusage, das Permit noch am selben Tag in das Institut gefaxt zu bekommen. Zehn Uhr Abends wird es dort auch endlich ankommen. Das Permit ist an die Buchung einer viertägigen Reise gebunden: Shuttlebus vom Flughafen nach Lhasa, Hotelzimmer für vier Tage und Besichtigungsprogramm mit Führer für schlappe 850 Yuan, was etwa 80 Euro entspricht. Hört sich im ersten Moment nicht so schlecht an, doch vor dem Führer sind wir schon gewarnt worden, der Bus wird praktisch nichts kosten und das Hotelzimmer wird sich als Schlafsaal ohne Dusche herausstellen. Aber dafür bekommen wir einen Bildband über Tibet geschenkt.
Während Martin ins Institut fährt, um dort mit Qiu Fang das anstehende Projekt vorauszuplanen, fahre ich ins Hostel zurück und packe die Sachen, die ich in den nächsten Wochen in Beijing lassen will in meinen Koffer. Ich rufe Claudia an und bemerke am Klang ihrer Stimme, daß ich die Uhr in Gedanken sechs Stunden in die falsche Richtung umgestellt habe. In Deutschland ist es gerade mal halb acht Uhr morgens. So lasse ich sie weiterschlafen und gehe raus, um mich mit Hilfe meines gerade gekauften Stadtplanes ein wenig zu orientieren. Das fällt mir auch nicht sehr schwer, da die Straßennamen überall auch in westlichen Zeichen angeschrieben sind und die Stadt simpel zirkulär um die verbotene Stadt gebaut, von fünf Ringen unterteilt und sonst fast durchgehend von einem NordSüd-OstWest-Straßengitter durchzogen ist.
Gegen Abend schnappe ich mir meinen Koffer und mache mich auf den Weg zu Felicia, mit der ich nicht sehr weit vom Hostel verabredet bin. Dorthin geht es direkt durch die Hutongs, das heist durch die traditionelle Beijinger Altstadt, oder wie ich später erfahren soll, die spärlichen Reste davon. Das Leben und Treiben dort übertrifft die Erlebnisse des vorigen Abends noch um ein vielfaches. Da sind Marktstände aller Art, Menschen tümmeln durcheinander, die Straßen sind von freundlichem Lärm erfüllt und aus jeder Richtung strömen mir verschiedene Gerüche entgegen. Da sind offene Fleischstände mit rotierenden Insekten-klebefallen darüber und Woks, in denen Spieße mit den unterschiedlichsten Gemüsen, Würsten usw. frittiert werden. Dazwischen finden sich Friseure und Massage-Salons. Überall herrscht geschäftiges Treiben und es ist ein Fest für die Sinne.
Als ich am verabredeten Ort ankomme, ist es nicht schwer Felicia zu erkennen, denn wir sind weit und breit die einzigen "Langnasen". Ich treffe sie, weil Sie mich eingeladen hat, hier in Beijing in einem guten Monat für vier Wochen Tango zu unterrichten. Die Szene soll recht klein sein, es gibt es hier wohl niemanden, der regelmäßig einen richtigen Unterricht macht und so holen sie sich immer wieder neue Gastlehrer zu Besuch. Felicia macht auf mich spontan einen ganz netten Eindruck. Wir gehen bei Ihr zu Hause vorbei, um meinen Koffer dort zu lassen und kehren zum Dinner in ein moslemisch chinesische Restaurant ein. Anders aber auch sehr gut. Felicia hat viele kleine Gerichte bestellt, die zwischen uns landen und von denen man sich nimmt, was man will. Eine sehr kommunikative Form von Essen, die Martin und ich beibehalten werden. Wir besprechen einige Details meines Unterrichtsprogramms und so wird es langsam dunkel.
Schließlich nehmen wir ein Taxi zur einzigen Milonga Beijings, wo sich die Tangotänzer hier immer Donnerstag und Sonntag Abend treffen. Sie findet im zweiten Stock einer Weinbar statt und es läuft gerade der Kurs des hiesigen Hobbylehrers. Ich sehe schon, daß es hier einiges für mich zu tun geben wird. Es sind wenige Leute da aber die Atmosphäre ist nett und entspannt und ich tanze fast den ganzen Abend. Mit einer Tänzerin ist es wirklich schön, doch leider stellt sich heraus, daß sie zwar tatsächlich Chinesin aber hier nur zu Besuch ist und daß sie eigentlich in Los Angeles lebt. Gegen zwölf fahre ich zurück in Hostel, wo Martin schon auf mich wartet und wir bald schlafen gehen. Glücklicherweise haben wir das Permit jetzt tatsächlich in der Tasche.

Am nächsten Tag stehen wir sehr früh auf, um etwas mehr als rechtzeitig am Flughafen zu sein. Dort bekommen wir für unseren Wisch tatsächlich die Boarding-Tickets und der Flug verläuft problemlos. Als wir in Lhasa ankommen, müssen wir noch nicht einmal unser Permit vorzeigen. Das müssen wir auch später nicht, was etwas ärgerlich ist. Allerdings soll es wohl stichprobenartig kontrolliert werden, und ohne Permit wäre das wahrscheinlich nicht sehr angenehm.
Raus aus dem Flughafen und es ist etwa zehn Grad kälter als in Beijing. Der Shuttlebus ist schon rammelvoll, aber wir sollen auch noch mit rein und irgendwie wird da auch noch etwas Platz ganz vorne. Im Bus lernen wir, daß die Hupe das wichtigste Teil eines tibetische Fahrzeuges ist. Es fühlt sich etwas unwirklich an, hier plötzlich von riesigen Bergen umgeben zu sein. Die ersten Ausläufer der Stadt sind extrem trist, was durch den grauen Himmel noch verstärkt wird. Im Hotel "Snowland" angekommen bezahlen wir erst mal für ein Upgrade auf ein Doppelzimmer und lernen was hier zwei Sterne bedeuten: zwei Betten, zwei Waschschüsseln, zwei Thermoskannen, in die eine Tibetische Mama heißes Wasser füllt. Und ein Nachtisch. Das heiße Wasser scheint zum Waschen und zum Trinken gleichermaßen da zu sein. Man sollte hier auch kein ungekochtes Wasser trinken, wenn man nicht drei Tage auf dem Klo verbringen will. Und die Außentoiletten sind natürlich zum hinhocken, schmutzig in einem Grad, daß sie sich später im Vergleich als sehr sauber erweisen werden. Und natürlich gibt es wie überall kein Toilettenpapier.
Das Hotel liegt fast am Jokhang-Tempel, vor dem auch in den Abendstunden immer noch Pilger Ihre Niederwerfungen praktizieren, eine Art Sonnengruß oder Verneigung. Davor brennen in einer Art Mausuleum hunderte Butterlampen, was zusammen mit dem Weihrauch, der schwer in der Luft liegt eine ziemlich feierliche Stimmung verbreitet. Daran schließt sich direkt die Lhasaer Altstadt an, wo sich diesmal Martin sofort wohl fühlt, während ich etwas distanziert bleibe. Irgendwie werde ich auch in den folgenden Tagen nicht so recht warm mit dieser Stadt. An einem der vielen Straßenstände, wo diese Spieße frittiert werden, wie wir sie auch schon in Beijing gesehen haben, verspeisen wir das günstigste Abendessen unseres bisherigen Lebens... die Spieße sind fettig, stark gewürzt und schmecken gut, wenn man sich darauf einlässt. Noch ein Tee in einer Art Bar und wir sind reif fürs Bett.

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