Freitag, 30. November 2007

Längerer Aufenthalt

Nach einer kleinen Siesta im Hotel widmen wir uns unserem nächsten Problem, dem Bus nach Damzhung. Diese Stadt liegt am Fuße der Berge, die den Namzho, den heiligen See, an den wir wollen, begrenzen. Zuerst wissen wir schon mal nicht, wo überhaupt der Busbahnhof liegt. Auf unserer Karte ist etwas eingezeichnet, was man dafür halten könnte, aber dort gibt es nur eine Bushaltestelle. Das Zeichen für Busbahnhof in Martins Wörterbuch hilft uns allerdings weiter und man schiebt uns in den nächsten klapprigen Stadtbus, mit dem wir ein paar Kilometer einfach geradeaus fahren, bis wir am Bahnhof rausgeschmissen werden. Kostet praktisch nichts. Dort gibt es allerdings keine offenen Schalter außer für den Bus nach Kadmandu. Wir finden keine Informationen außer einem chinesischen Busfahrplan , den wir aber mit Hilfe der Zeichen auf meiner Karte entschlüsseln können. Daneben gibt es ganz groß auf englisch folgende Erklärung, die für Ausländer wohl wichtiger ist als der Fahplan:


Auf diese Art finden wir nicht wirklich heraus, wann unser Bus fährt, aber wir bekommen so etwas wie eine Ahnung. Und wiedermal... ist doch gar nicht so schwierig. Etwas übermutig springen wir in den nächsten Stadtbus, von dem wir annehmen, daß er wirklich in die Stadt fährt, und siehe da... er tut es! Wir steigen unterwegs an der Uferpromenade zum Fluß aus und setzten uns dort, um in Ruhe unsere Aufzeichnungen nachzuholen. Einige Tibeter schauen mir über die Schulter, während ich das hier schreibe und als sie das von mit gemalte Zeichen für Damzhung sehen, sind sie sehr erstaunt. Als Ihnen dann Martin sein selbstgemaltes chinesisches Speisewörterbuch zeigt, sind sie ganz aus dem Häuschen, loben uns und verbessern einige Zeichen, natürlich alles ohne Englisch.

Etwas später gehen wir weiter, überqueren den Fluß und kommen hier in ein ganz und gar chinesisches Viertel Lhasas. In vielen Vierteln darf man keine all zu empfindliche Nase haben, doch auf dem Markt, den wir hier antreffen, wünsche ich mir wirklich keine Nase zu haben. Etwas schockiert kehren wir zurück in den inneren Bereich der Stadt, nehmen wieder den Bus und steigen irgendwie zu spät aus. Bis wir die Orientierung wiedergefunden haben, vergeht eine Weile und es wird dunkel. An einer Staßenecke essen wir reichlich von diesen Spießen, worauf uns zwei Touristinnen ganz ensetzt ansehen. Unseren Mägen ist das Essen bisher bestens bekommen. Zu guter letzt gönnen wir uns vor dem Schlafengehen noch eine Ganzkörpermassage von zwei hübschen (bekleideten!) jungen Tibeterinnen. Der Fakt, daß meine Kitzlichkeit immer wieder zu unkontrollierbaren Zuckungen führt, sorgt für allgemeine Heiterkeit.

Am nächsten Morgen versuchen wir es noch einmal mit dem Potala aber wieder finden wir das Schild "Today ration tickets sold out". Wir beginnen zu begreifen, daß das schwierig wird. Zur Entscheidungsfindung gehen wir erst einmal in unser Lieblingslokal und entschließen uns bei einer Nudelsuppe trotzdem abzureisen, vor allem weil wir langsam begreifen, daß wir für die Tour um den See viel mehr Zeit brauchen, als urspünglich veranschlagt. Langsam fragen wir uns, ob das so überhaupt schaffbar ist. Auf dem Weg ins Hotel unterstützt uns in der Entscheidungsfindung unheimlich plötzlich mein Bauch. Dort geht es mir innerhalb weniger Sekunden plötzlich so durch und durch, daß ich schon nicht mehr weiß wohin mit mir. Glücklicher Weise gibt es um die Ecke eine öffenliche Toilette... die schlimmste die ich je geshen habe, aber gerade bin ich glücklich, daß es sie gibt und ich mich nicht irgendwo in eine Ecke hocken muß... Durchfall, und was für einer.

An die folgenden drei Tage möchte ich lieber nicht denken. Ich habe sie schließlich doch nur zwischen Bett und Toilette verbracht und das erspare ich uns hier lieber...

Sonntag, 25. November 2007

Erste Tage in Lhasa

Ich bin früh wach und, da Martin die halbe Nacht nicht schlafen konnte, gehe ich allein auf den Barkor, die breite Marktstraße um den Jokhang-Tempel herum. Nach dem, was ich darüber gelesen habe, war das schon immer so etwas wie ein Marktplatz, aber jetzt ist es eher ein einziger Touristenladen, und das erste Mal erfahre ich was ein "Hallo-Markt" ist: ein Markt, auf dem man keinen Meter gehen oder sich etwas anschauen kann, ohne von "Hallo , lucky luckie... you like a ..." belagert zu werden. Interessant sind dazwischen die vielen Pilger mit Ihren sich endlos drehenden Gebetsmühlen, denn der Jokhangtempel ist wie alle heiligen Orte Tibets ein Umrundungszentrum. Etwas abseits lande ich plötzlich in einer riesigen Markthalle, mit Bergen von Fleisch und Gemüse, riesigen Brocken Butter, Säcken voller Gewürze und Vielem Vielem mehr. Ich gehe ziemlich weit durch die Stadt, doch langsam wird mir von der Mischung aus Weihrauch und Abgasen, die hier überall in der auf dreittausendsechshundert Metern ohnehin ziemlich dünnen Luft liegt etwas schwindelig und ich muß mich zwingen, tief durchzuatmen.






Schließlich sammle ich Martin im Hotel auf und wir gehen gemeinsam den Jokhang-Tempel ansehen. Auch innerhalb der Mauern Ströme von Touristen, übrigens vor allem Chinesischen Touristen. Ich habe mir sagen lassen, daß das 2004 noch nicht so war und kann mir gut vorstellen, daß das auch an der seit letztem Jahr bis Beijing durchgängigen Eisenbahstrecke liegt. Die Gruppen mit Ihren laut schreienden Führern sind entwürdigend an diesem Ort, von dessen Heiligkeit nicht mehr viel übrig ist. Trotzdem sind die in Zwielicht und Kerzenschein getauchten Räume beeindruckend. Schließlich finden wir eine Lücke in der Absperrung und gelangen in eine Art Hofgang, in dem bestimmt zweihundert Gebetsmühlen aufgestellt sind. Ich gehe langsam an Ihnen vorbei und setze eine nach der anderen in Bewegung. Das Drehen dieser Mühlen hat eine eigenartig beruhigende Wirkung. So finden wir in diesem eigentlich wundervollen Tempel doch noch etwas Ruhe und Frieden. Wieder im Hauptteil des Tempels wird uns der Rummel bald zu dick und wir suchen uns ein Restaurant, in dem nur Einheimische sitzen, oder zumindest keine westlichen Touristen. Die Dumplings sind großartig. Mit Hilfe einer zweisprachigen Karte stellt uns Martin ein kleines Gerichte-Wörterbuch zusammen. Seine Versuche, die Schriftzeichen abzumalen zieht eine ganze Traube von Leuten um uns an und sorgt für große Belustigung. Wir bekommen immer mehr Essen angedreht, aber es ist gut und billig und so lassen wir uns das gefallen, bis wir einfach nicht mehr können. Zur Verdauung machen wir noch einen weiten Spaziergang bis uns klassische westliche Musik auf den Platz vor dem Pottalapalast lockt. Als wir ankommen setzt gerade der "Radezkimarsch" ein, während vor dem Denkmal zur "friedlichen Befreiung Tibets" ein pompöses Wasserspiel abläuft und gegenüber zwischen dem Platz und dem Pottala die Chinesische Flagge im Wind weht. Welch Inszenierung, doch sie stößt auf rege Anteilnahme unter den Anwesenden, unter anderem auch bei zwei Mönchen, die das Schauspiel mit einer zu Ihrer Tracht wunderbar kontrastierenden Digitalkamera aufnehmen.



Am nächsten Morgen hängen wir beide etwas durch, weil wir kaum schlafen konnten. Ich habe das Gefühl, daß sich mein Körper nicht so recht mit der dünnen Luft anfreunden will und tatsächlich soll ich erst wieder im Zug nach Xian so richtig gut schlafen, in den extra Sauerstoff geleitet wird. Langsam angepasst genießen wir zum Frühstück eine Nudelsuppe und machen uns auf dem Weg zu Potala, den wir uns heute vorgenommen haben. Dort steht ein Schild mit dem Text: "Today ration tickets sold out". Somit beschließen wir, uneren Aufenthalt in Lhasa um einen weiteren Tag zu verlängern, denn dort den Potala nicht besichtigt zu haben wäre schon ein wenig dumm. Wir gehen noch weiter zu Bank of China, nur um zu sehen, daß auch diese geschlossen hat. Ein Stückchen weiter stoßen wir auf eine Treppe, die offensichtlich zu einem etwas weniger besuchten Kloster hinaufführt. Es geht vielleicht ganze hundert Meter hoch und wir erschrecken wie wir selbst ohne Gepäck oben keuchend ankommen. Wie soll das nur auf unserer geplanten Wanderung werden? Am Kloster haben wir beide das Gefühl, eher zu stören als willkommen zu sein und ziehen uns schnell wieder zurück. Etwas müde leisten wir uns das erste und einzige mal eine Rigschafahrt und verstehen nun, warum wir hier andauern aufpassen müssen, nicht von einer solchen überfahren zu werden. Einerseits brauchen die Bremsen recht lang um so etwas wie Wirkung zu zeigen und zweitens bedeutet anhalten viel Mühe für den Fahrer.

Donnerstag, 22. November 2007

Endlich nach Lhasa

Lulu ist pünktlich neun Uhr dreißig im Hostel. Sie ist Studentin in dem Institut, wo Qiu Fang arbeitet, mit der Martin in einem Monat ein Forschungsprojekt über Lernen von hierarchischen Strukturen im Vergleich zwischen chinesisch- und englischsprachigen Versuchspersonen unternehmen wird, und bereit uns zu helfen. Damit beeilt sie sich auch auf der Stelle anzufangen und lässt uns kaum Zeit zum durchatmen, von sich selbst ganz zu schweigen. Ich frage mich, ob sie vielleicht ein wenig überdreht ist, ob man das hier so macht oder ob das ihre Auffassung ist, wie man so etwas bei uns angeht. Der Versuch unsere Daten zum "Tibetean Tourist Office" zu faxen scheitert am defekten Faxgerät im Hostel. Also fahren wir direkt in das Beijinger Büro. Lulu besteht die ganze Zeit darauf alle anfallenden Kosten wie Taxifahrten zu bezahlen und wir sind etwas ratlos, weil wir es nicht schaffen, uns gegen sie durchzusetzen. Im Büro geht Dank Lulus Hilfe alles sehr reibungslos von statten und wir bekommen die Zusage, das Permit noch am selben Tag in das Institut gefaxt zu bekommen. Zehn Uhr Abends wird es dort auch endlich ankommen. Das Permit ist an die Buchung einer viertägigen Reise gebunden: Shuttlebus vom Flughafen nach Lhasa, Hotelzimmer für vier Tage und Besichtigungsprogramm mit Führer für schlappe 850 Yuan, was etwa 80 Euro entspricht. Hört sich im ersten Moment nicht so schlecht an, doch vor dem Führer sind wir schon gewarnt worden, der Bus wird praktisch nichts kosten und das Hotelzimmer wird sich als Schlafsaal ohne Dusche herausstellen. Aber dafür bekommen wir einen Bildband über Tibet geschenkt.
Während Martin ins Institut fährt, um dort mit Qiu Fang das anstehende Projekt vorauszuplanen, fahre ich ins Hostel zurück und packe die Sachen, die ich in den nächsten Wochen in Beijing lassen will in meinen Koffer. Ich rufe Claudia an und bemerke am Klang ihrer Stimme, daß ich die Uhr in Gedanken sechs Stunden in die falsche Richtung umgestellt habe. In Deutschland ist es gerade mal halb acht Uhr morgens. So lasse ich sie weiterschlafen und gehe raus, um mich mit Hilfe meines gerade gekauften Stadtplanes ein wenig zu orientieren. Das fällt mir auch nicht sehr schwer, da die Straßennamen überall auch in westlichen Zeichen angeschrieben sind und die Stadt simpel zirkulär um die verbotene Stadt gebaut, von fünf Ringen unterteilt und sonst fast durchgehend von einem NordSüd-OstWest-Straßengitter durchzogen ist.
Gegen Abend schnappe ich mir meinen Koffer und mache mich auf den Weg zu Felicia, mit der ich nicht sehr weit vom Hostel verabredet bin. Dorthin geht es direkt durch die Hutongs, das heist durch die traditionelle Beijinger Altstadt, oder wie ich später erfahren soll, die spärlichen Reste davon. Das Leben und Treiben dort übertrifft die Erlebnisse des vorigen Abends noch um ein vielfaches. Da sind Marktstände aller Art, Menschen tümmeln durcheinander, die Straßen sind von freundlichem Lärm erfüllt und aus jeder Richtung strömen mir verschiedene Gerüche entgegen. Da sind offene Fleischstände mit rotierenden Insekten-klebefallen darüber und Woks, in denen Spieße mit den unterschiedlichsten Gemüsen, Würsten usw. frittiert werden. Dazwischen finden sich Friseure und Massage-Salons. Überall herrscht geschäftiges Treiben und es ist ein Fest für die Sinne.
Als ich am verabredeten Ort ankomme, ist es nicht schwer Felicia zu erkennen, denn wir sind weit und breit die einzigen "Langnasen". Ich treffe sie, weil Sie mich eingeladen hat, hier in Beijing in einem guten Monat für vier Wochen Tango zu unterrichten. Die Szene soll recht klein sein, es gibt es hier wohl niemanden, der regelmäßig einen richtigen Unterricht macht und so holen sie sich immer wieder neue Gastlehrer zu Besuch. Felicia macht auf mich spontan einen ganz netten Eindruck. Wir gehen bei Ihr zu Hause vorbei, um meinen Koffer dort zu lassen und kehren zum Dinner in ein moslemisch chinesische Restaurant ein. Anders aber auch sehr gut. Felicia hat viele kleine Gerichte bestellt, die zwischen uns landen und von denen man sich nimmt, was man will. Eine sehr kommunikative Form von Essen, die Martin und ich beibehalten werden. Wir besprechen einige Details meines Unterrichtsprogramms und so wird es langsam dunkel.
Schließlich nehmen wir ein Taxi zur einzigen Milonga Beijings, wo sich die Tangotänzer hier immer Donnerstag und Sonntag Abend treffen. Sie findet im zweiten Stock einer Weinbar statt und es läuft gerade der Kurs des hiesigen Hobbylehrers. Ich sehe schon, daß es hier einiges für mich zu tun geben wird. Es sind wenige Leute da aber die Atmosphäre ist nett und entspannt und ich tanze fast den ganzen Abend. Mit einer Tänzerin ist es wirklich schön, doch leider stellt sich heraus, daß sie zwar tatsächlich Chinesin aber hier nur zu Besuch ist und daß sie eigentlich in Los Angeles lebt. Gegen zwölf fahre ich zurück in Hostel, wo Martin schon auf mich wartet und wir bald schlafen gehen. Glücklicherweise haben wir das Permit jetzt tatsächlich in der Tasche.

Am nächsten Tag stehen wir sehr früh auf, um etwas mehr als rechtzeitig am Flughafen zu sein. Dort bekommen wir für unseren Wisch tatsächlich die Boarding-Tickets und der Flug verläuft problemlos. Als wir in Lhasa ankommen, müssen wir noch nicht einmal unser Permit vorzeigen. Das müssen wir auch später nicht, was etwas ärgerlich ist. Allerdings soll es wohl stichprobenartig kontrolliert werden, und ohne Permit wäre das wahrscheinlich nicht sehr angenehm.
Raus aus dem Flughafen und es ist etwa zehn Grad kälter als in Beijing. Der Shuttlebus ist schon rammelvoll, aber wir sollen auch noch mit rein und irgendwie wird da auch noch etwas Platz ganz vorne. Im Bus lernen wir, daß die Hupe das wichtigste Teil eines tibetische Fahrzeuges ist. Es fühlt sich etwas unwirklich an, hier plötzlich von riesigen Bergen umgeben zu sein. Die ersten Ausläufer der Stadt sind extrem trist, was durch den grauen Himmel noch verstärkt wird. Im Hotel "Snowland" angekommen bezahlen wir erst mal für ein Upgrade auf ein Doppelzimmer und lernen was hier zwei Sterne bedeuten: zwei Betten, zwei Waschschüsseln, zwei Thermoskannen, in die eine Tibetische Mama heißes Wasser füllt. Und ein Nachtisch. Das heiße Wasser scheint zum Waschen und zum Trinken gleichermaßen da zu sein. Man sollte hier auch kein ungekochtes Wasser trinken, wenn man nicht drei Tage auf dem Klo verbringen will. Und die Außentoiletten sind natürlich zum hinhocken, schmutzig in einem Grad, daß sie sich später im Vergleich als sehr sauber erweisen werden. Und natürlich gibt es wie überall kein Toilettenpapier.
Das Hotel liegt fast am Jokhang-Tempel, vor dem auch in den Abendstunden immer noch Pilger Ihre Niederwerfungen praktizieren, eine Art Sonnengruß oder Verneigung. Davor brennen in einer Art Mausuleum hunderte Butterlampen, was zusammen mit dem Weihrauch, der schwer in der Luft liegt eine ziemlich feierliche Stimmung verbreitet. Daran schließt sich direkt die Lhasaer Altstadt an, wo sich diesmal Martin sofort wohl fühlt, während ich etwas distanziert bleibe. Irgendwie werde ich auch in den folgenden Tagen nicht so recht warm mit dieser Stadt. An einem der vielen Straßenstände, wo diese Spieße frittiert werden, wie wir sie auch schon in Beijing gesehen haben, verspeisen wir das günstigste Abendessen unseres bisherigen Lebens... die Spieße sind fettig, stark gewürzt und schmecken gut, wenn man sich darauf einlässt. Noch ein Tee in einer Art Bar und wir sind reif fürs Bett.

Dienstag, 20. November 2007

Von Berlin nach Beijing

Eine Reise nach China zeichnet sich zuallererst dadurch aus, daß die Anfahrt ziemlich lang ist. Manchmal führen die Umstände dazu, daß sie besonders lang wird. In unserem Fall kommt hinzu, daß wir unseren Flug nicht von Deutschland sondern von London aus gebucht haben, weil Martin in Camebridge lebt und die Flüge von London aus günstiger waren. Also fliege ich erst einmal von Berlin nach London und fahre dann weiter mit dem Bus nach Camebridge, um Martin dort noch mit seinem besonders günstig gelegtem Umzug zu helfen. Nachdem wir am Abend noch Lizzy, eine Freundin von Martin treffen und mit Ihr einen schönen Abend verbringen, beenden wir die restlichen Reisevorbereitungen, die uns die gesamte Nacht kosten.
Im Bus nach London werden wir auch weniger in den Schlaf gewiegt als als ständig aus ihm herausgestoßen. Mittags kommen wir in London Gatwick an, checken ein und beginnen auf unseren Flug zu warten. Der geplante Abflug verspätet sich, aber niemand weiß, wie lange. Am Ende werden daraus ganze sechs Stunden, weil ein Teil unseres Flugzeuges (wie beruhigend) defekt ist und ein Ersatzteil aus Heathrouw herbeigeschafft werden muß. Als wir dann endlich im Flugzeug sitzen, sind wir doch ziemlich von Emirates begeistert. Wirklich luxeriös, auch in der Economie-class. Selbst das Essen ist ausgesprochen gut, weit besser als genießbar. Und in Anbetracht meiner Größe hat uns die nette Dame vom Checkin die Plätze hinter dem Notausgang mit jeder Menge Beinfreiheit gegeben. Mittlerweile bin zumindest ich hellwach, obwohl ich seit vierzig Stunden nicht wirklich geschlafen habe und erst gegen frühen Morgen, als wir schon bald in Dubai sind, schlummere ich ein.
In Dubai ist der Anschlußflug natürlich weg und wir bekommen nach langem Anstehen einen Ersatzflug über Bangkok für den Abend und für die Zeit bis dahin ein Zimmer und Essensgutscheine fürs Flughafenhotel. Dort verschlafen wir den ersten Teil des Tages. Nach der Einlösung unseres Lunch-Gutscheins versuchen wir uns in einem kleinen Spaziergang, doch wir sind immmer noch im Flughafeneinzugsgebiet - scheußlich - und die Außentemperatur entspricht der Innentemperatur einer finnischen Sauna - buchstäblich. Also kehren wir zurück und verschlafen auch den Rest des Tages im klimatisierten Hotelzimmer. Am Abend geht es dann weiter und wir werden von Thai-Airlines überrascht, die zwar keine "personal Screens" wie bei Emirates aber dafür noch besseres Essen und die hübscheren Stuardessen haben. Und auch, als wir gegen morgen in Bangkok ankommen, sind wir putzmunter. Der Flughafen hier ist niegelnagelneu, gigantisch und doch sehr leicht, hell und freundlich... wie der Ruf der Thai selbst.

Als wir dann gegen Abend in Beijing ankommen, sind wir noch ganz und gar nicht müde. Wir kommen mit dem Gefühl an eine der Entfernung angemessene Anreise hinter uns gebracht zu haben - eigentlich gar nicht so schlecht. Nur daß wir nun nur noch einen Tag Zeit haben, unser Permit für Tibet zu bekommen. Aber darüber zerbrechen wir uns erst einmal nicht den Kopf. Es gibt da erst mal noch ein par andere Details zu klären. Checkout, Gepäckabholung und Passkontrolle haben immerhin reibungslos funktioniert.
Dann fällt Martin allerdings ein, daß er seine geliebte Lederjacke im Flugzeug vergessen hat. Ich überzeuge Ihn, daß es mehr Sinn macht zum Thai-Airline-Büro zu gehen als zur Gepäckstelle und nach einigem Suchen finden wir die Tür in einem unscheinbaren Seitengang des obersten Stockwerkes im Terminal. Was sich dahinter verbirgt ist nicht weniger unscheinbar und zwei von Zetteln überquellende Schreibtische muten etwas seltsam für das offizielle Büro eines Flugunternehmens an. Die einzig anwesende Dame im Büro gehört auch eigentlich gar nicht dazu und bestätigt uns dreimal im Abstand von zehn Minuten, daß in fünf Minuten jemand kommt. Nach demnach langem Warten kommt tatsächlich eine junge Frau die mit einiger Mühe auch zu verstehen scheint, was wir wollen. Ihr Telefonat hört sich allerdings nicht sehr vielversprechend an. Nach nochmals zahn Minuten kommt dann tatsächlich ein Mann in Thai-Airline-Uniform mit vier Streifen auf den Schultern und Martins Jacke unter dem Arm. Unsere nächste Station führt uns zum Schalter für Air-China denn die Bestätigung der Agentur, die für uns den Flug nach Lhasa gebucht hat, ist im Grunde keine verbindliche Bestätigung. Am Hauptschalter der größten chinesischen Fluglinie in der Hauptstadt Chinas kommt Englisch kaum besser als Suaheli an. Wir werden eine Tür weiter geschickt, dort ist aber der Schalter für First und Buissnes-Class und wir werden höflichst rausgeschmissen. Also wieder zum Hauptschalter, wo wir weiter zum Checkin-schalter 18H geschickt werden, von dort zu 18E und von dort zurück zum Hauptschalter. Im Grunde liegt das wohl einfach nur daran, daß uns einfach niemand versteht. (Ich schreibe dies gerade nach zwei weiteren Monaten in China und bin mir dessen jetzt nicht mehr so sicher.) Nach einem weiteren verzweifelten Versuch am Schalter 18H fragen wir einen jungen Mann in Uniform, der dort mehr oder weniger in nicht wirklich nachvollziehbarer Funktion herumsteht und der endlich zu verstehen scheint, was wir wollen. Er checkt unsere Frage am Computer und kommt mit der Nachricht zurück, daß unsere Plätze gelöscht sind, da wir den Flug mehr als vierzehn Tage im voraus gebucht haben, was nicht geht. Wie bitte!? Das hat man also davon, wenn man einer Agentur vertraut. Als Reaktion auf unsere empörten Einwände machen sie sich schließlich zu dritt am Computer zu schaffen, und irgendwie haben wir plötzlich so etwas wie eine Betätigung in Händen. Was Besseres ist offensichtlich nicht zu bekommen. Na, wenn das mal klappt! Noch eine Runde Suchen nach dem Schalter der "Bank of China", der wie uns versichert wurde einzig vertrauenswürdigen Bank in China (später erfahren wir, daß die "ndustrial and Commercial Bank of China" auch geht und sogar geringere Gebühren verlangt) und umständlichstes Einlösen der ersten Traveller-checks und unsere "Kleinigkeiten" am Flughafen sind erledigt. Gut daß wir nach dem Flug nicht völlig fertig waren.

Also raus aus dem Flughafen und... nein, nicht ins Taxi sondern in die Schlange zu den Taxis. Auch diese Schlange ist irgendwann zu Ende. Doch die Adresse des Hostels, die ich in unserem Führer gewählt habe, steht dort nur in westlichen Zeichen und die Taxifahrerin muß erst einige Leute fragen, bis sie jemanden findet, er sie Ihr übersetzten kann, denn unsere Versuche die Adresse vorzulesen scheitern offensichtlich kläglich. Wir hoffen sehr daß wir am richtigen Ort ankommen, und nach einer fast ganzstündigen Fahrt durchs nächtliche Beijing stehen wir tatsächlich vor einem Gebäude mit dem richtigen Namen über dem Eingang: "Red Lantern House". Dort hängen auch wirklich rote Laternen, was aber am Rande bemerkt kein gutes Erkennungszeichen ist, denn die hängen wirklich überall. Passend am Namen ist, daß es sich bei dem Hostel um zwei Häuser im traditionellen Stil handelt. Und es befindet sich in einer wunderschönen engen heruntergekommenen Altstadtgasse, Hutong genannt. Ich fühle mich auf der Stelle wohl. Auf dem Tresen der Rezeption liegt eine faule rote Katze und schnurrt vor sich hin. Hier bin ich definitiv richtig. Martin lacht sich über meine Geschmack kaputt und meint, er schenkt mir irgendwann mal eine Reise in ein Slum in Afrika. Da, so meint er, würde ich mich erst so richtig wohl fühlen. Nun ja, zugegeben, wenn ich eine schicke Hochhaussiedlung sehe, denke ich an weglaufen. Wenn ich in einer schmutzigen Gasse wohne, in der ein Kind zwischen den Häusern in eine Ecke scheißt, alte Männer chinesisches Schach spielend am Straßenrand sitzen, an der nächsten Ecke die Straßengarküchen Ihre derben Gerüche verströmen, irgendwo zwischen Passanten, Fahrrädern und dem ein oder anderen Auto auch noch ein par Hühner rumlaufen und kleine Kinder statt einer Windel einfach einen Schlitz in der Hose haben, beginne ich mich irgendwie wohl zu fühlen. Nicht daß ich ein Teil dieser Welt wäre, doch sie fühlt sich vertraut an und ich wirke dort auch nicht fehl am Platz.
Im Hauptgebäude des Hostels ist kein Bett mehr frei und der "Onkel" fährt unser Gepäck in seinem Fahrradanhänger zum Nebengebäude. Auf dem Weg dorthin müssen wir eine Hauptstraße überqueren, was der Onkel mit stoischer Langsamkeit mit seinem Fahrrad meistert. Autos müssen stehenbleiben, hupen aber davon scheint man sich hier nicht aus der Ruhe bringen zu lassen. Das Nebengebäude ist sehr nett eingerichtet und hat einen schönen Hof, der bei den lauen Temperaturen hier Nachts zum draußen sitzen einläd. Nachdem wir uns in unserem Zimmer, daß zwar spartanisch eingerichtet aber sauber ist, eingerichtet haben, gehen wir noch raus in die Hutong und kehren in das bestbesuchte Straßenrestaurant ein, daß wir im Umkreis finden. Es gibt kein englisches Menü aber dafür Bilder zu den Gerichten und der Kellner erläutert sie kreativ mit muuuh, quaak quaak und boock bock bock-Lauten. Das Essen ist einfach, scharf und sehr gut. Das dazu bestellte Bier kommt in Null-komma-sechs-Liter-Flaschen. Der Junge, der die Rechnung bringt, malt die Summe mit dem Finger auf den Tisch und freut sich riesig, als er von uns umgerechnet vierzig Cent Trinkgeld bekommt. Später bemerken wir, daß das hier überhaupt nicht üblich ist. Wir kehren zurück in unser Hostal und nachdem wir uns mit Lulu für den nächsten Morgen verabredet haben um die Permit für Tibet zu bekommen, fallen wir erschöpft in unsere Betten und schlafen wie die Steine. Irgendwie haben wir es mit all dem Durcheinander wohl geschafft, den Jetlag zu überlisten.